Wenn die Halligen in der Nordsee Landunter melden, gucken nur noch die Häuser auf ihren Warften aus dem Wasser. Aber zu jeder anderen Zeit lassen sie erholsame Ferien wahr werden.
Der letzte Zecher verlässt den „Friesenpesel“ auf der Backenswarft und radelt durch die Vollmondnacht. Ungewohnte Stille. Kein Mensch, kein Auto weit und breit. An der Hanswarft stellt er sein Rad in den Ständer und geht die wenigen Schritte zu Fuß zu „Olgas Hus“. Weder Haus- noch Zimmertür sind verschlossen. Die Welt der Halligen ist eine andere.
Autos sind den Einwohnern vorbehalten, Pferdewagen bringen Gäste vom Schiffsanleger ins Quartier und Tagesausflügler über die sattgrüne Fenne, das von Prielen malerisch durchzogene Weideland. Für den Neuankömmling sehen alle neun Warften auf Hallig Hooge gleich aus – diese Erdhügel mit den Wohnhäusern darauf. Eine Radwanderkarte zeigt, wo es auf der mit 5,6 qkm zweitgrößten der zehn Halligen langgeht.
Richtig romantisch wirken die „schwimmenden Träume“ schon von der Fähre aus. Im „Sturmflutkino“ auf Hooge wird man eines Besseren belehrt. Da peitscht der Sturm mit Stärken neun bis zwölf die Nordsee hinein in die Hallig. Da nützt nicht der 1,5 Meter hohe Sommerdeich, da hilft nur, rechtzeitig Kühe und Autos auf die Warften zu holen. Selbst die Vögel flüchten sich in den Schutz einer Warft. „Landunter“ melden die Halligen dann, und aus dem Wasser gucken nur noch die Häuser raus.
Hooge wird bis zu neunmal im Jahr überflutet, die kleinen Halligen wie Habel bis zu fünfzigmal. Anderthalb Tage wütet so ein Sturm, bis die See wieder wie ein Spiegel daliegt. Nicht hoch genug ist die Kirchwarft, so dass sie öfter überspült wird. Aber weise Erbauer beließen unter den Kirchbänken den Sandboden, in dem das Wasser versickern kann. Hoch genug aufgeworfen wurde nur die Westerwarft, „alle anderen sind Versauflöcher“, schimpft der älteste Einwohner von Hooge, der die Fenster seines Hauses zur Brandung hin mit Plexiglas vernagelt hat. Weil auch der Meeresspiegel ansteigt, werden unter großem Aufwand die Warften erhöht. Denn Nordfrieslands Halligen, Überreste der durch die großen Sturmfluten von 1362 und 1634 zerschlagenen Küste, dienen in erster Linie als Wellenbrecher zum Erhalt der Küste. Mit dem Thema befasste sich auch eine internationale Küstenschutz-Konferenz in Cuxhaven.
Vom Wohlstand der Bewohner vor der „Mandränke“ zeugen zum Beispiel Sandsteinsärge aus dem 12. Jahrhundert. Von der späteren Armut – durch die Überspülungen ist kein Ackerbau möglich – die „Ditten“ und die Arbeitsgeräte zur Herstellung dieses Kuhdungs als Brennmaterial. Anschaulich demonstrieren die Heimatmuseen von Hooge und Langeneß das Leben auf den Halligen, bevor sie Strom und „Wasser aus der Wand“ erhielten, Hooge z. B. 1954 Strom und 1969 Wasser. Vorher fing man das Regenwasser in den Soods, Zisternen, auf und im Fething, der Viehtränke. Sie existieren noch.
Mit dem Wasser aus der Wand kamen auch die Pensionsgäste. Und so manches Mal tragen sie zum Abendessen mit bei. Mit Gummistiefeln und Eimern geht’s ins Watt zur Miesmuschelbank. Hat man sich überwunden, die schlammigen, mit Seepocken besetzten blauschwarzen Schalentiere von den Byssusfäden zu „pflücken“, sind die Eimer schnell gefüllt. Vorgeschrubbt werden sie unter dem Schlauch am Meer und in der Pension noch einmal gesäubert und zubereitet. Köstlich und kostenlos dazu.
Bei einem Ausflug auf Langeneß, der größten Hallig, zeigt die Fremdenführerin stolz auf ein bescheidenes Häuschen. „Das ist unser Kaufmannsladen. Da gibt es zweimal pro Woche frisches Brot.“ Er beliefert auch Hallig Oland, die durch einen etwa vier Kilometer langen Damm mit Langeneß verbunden ist. Über ihn fahren die Einheimischen auf Schienen mit Loren. Fremde müssen verdammt lange zu Fuß gehen. Aber es lohnt. Oland hat das wohl einzige Reet gedeckte Leuchtfeuer der Welt, aber nur eine einzige Gaststätte.
Obwohl man zur Hallig Gröde bei Ebbe vom Festland laufen kann – es verkehrt auch ein Linienschiff -, ist Tagestourismus unbedeutend. Nach Wahlen verkündet sie mit ihren wenigen Einwohnern als erste das Ergebnis. Um Gröde einmal zu umrunden, braucht man nicht viel Zeit. Doch auch hier muss man die typische Hallig-Kirche ansehen mit dem Renaissancealtar von 1592 und der noch älteren Kanzel. Die Reethäuser bieten dem Gast zwar ein Dach überm Kopf, aber keine Bewirtung – und es gibt nur einen Kiosk!
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Infos:
www.halligen.de
Fotos:
Elke Backert